Der Mülverstedter Hexenprozess
Am 17. Dezember 1658 herrschte große Aufregung in Mülverstedt. Das ganze Dorf vom herrschaftlichen Schloss bis zur letzen strohgedeckten Hütte war auf den Beinen und viele Schaulustige aus den umliegenden Gemeinden zogen durch das Dorf. Heute soll eine Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.....
Die leidgeprüften Einwohner hatten in den letzten Jahren viel erlebt. Die Schrecken des 30 jährigen Krieges waren noch nicht überwunden. Zweimal war die Pest während des Krieges im Dorf ausgebrochen und forderte viele Opfer. Die Schweden und Pappenheimer Scharen zogen plündernd, sengend und mordend durch den Ort und verbreiteten viel Leid. 1632 wurde das Schloss der Herrn von Hopffgarten niedergebrannt In den Kirchenbüchern lassen sich von 1626 bis 1640 rund 250 Todesopfer zählen. Man kann annehmen, das sich durch die Auswirkungen des Krieges die Anzahl der Einwohner um 2/3 verringerte. All diese Ereignisse ließen die Einwohner abstumpfen und verrohen. Angst und Aberglaube waren stark verbreitet. Es gab kaum noch Mitgefühl unter den Bürgen und außergewöhnliche Begebenheiten haben eine Ursache. So wie auch hier in der Mülverstedter Chronik und in alten Zeitschriften beschrieben: Das Jahr 1658 war ein Mäusejahr. Trotz guter Ernte drohte dem Dorf eine Hungersnot weil die Nager in Massen auftraten und die eingebrachte Ernte zu vernichten drohten. Das plötzliche Auftreten schien den Leuten nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Man war geneigt, ihr Erscheinen der Zauberei zuzuschreiben, wie man ja in dieser Zeit, allen Schäden an Vieh und Wirtschaft, der Zauberei in die Schuhe schob. Starb ein Pferd, nahm das Vieh das Futter nicht an, konnte man keine Butter gewinnen, immer hieß es: "Wir sind verhext". Je weniger man sich in alter Zeit von den alltäglichen abweichenden Erscheinungen aus den Gesetzen der Natur zu erklären wusste, desto mehr war die Ursache Zauberei und Hexerei. War man erst mal überzeugt, dass die Mäuseplage durch Zauberei entstanden ist, so war die Zauberkünstlerin bald gefunden. Die öffentliche Meinung wies laut nach Zimmern. Das Volk war erregt und wollte ein Opfer.
Am 24. Juli 1658 wird Barbara, Hans Wenzels zu Grumbach Tochter vor das Amt in Salza geladen, wo sie bekennt, dass sie während Ihrer Dienstzeit in Zimmern bei Jacob Winzer dort von ihrer Nachbarin Christine Spiering , Jeremias Spierings Eheweib, das Mäusemachen gelernt habe. Ihre Nachbarin Christine habe "ein schwarzes Pulver in einer Düte gehabt, dass sie auf die Erde gestreut, habe dann Maul, Beine und kleine Schwänze daran gezeichnet und dabei gesagt: Werdet Mäuse in des Teufels Namen, sobald waren es 20, 30 oder mehr Mäuse geworden." Wenn sie aber gesagt: "Weg in Teufels Namen" und mit der Hand weggewiesen, "wären sie wieder weggekommen". Um den Zweck solchen Mäusemachens gefragt, habe Christine Spiering geantwortet: " Sie sollen den Leuten das Korn abfressen".
Auf Grund dieser Aussage wird Christine Spiering von den Hopffgartschen Gerichtsknecht Andreas ergriffen und in Ketten gelegt, die der Zimmersche Schmied George Hellmut eiligst gefertigt hatte und in das Burggefängnis nach Mülverstedt abgeführt. (Zimmern gehörte damals zu Mülverstedt und unterstand der Gerichtsbarkeit der Herren von Hopffgarten)
Wer ist Christine Spiering? Sie scheint einer fahrenden Familie angehört zu haben, wie sie der Krieg nach Verbrennung der Dörfer und Verödung der Dörfer zu Tausenden auf die Landstraße geworfen hat. Sie ist viel umhergekommen in der Welt. Sie hat z.B. im Braunschweigischen bei einer Frau Marta gedient und verschiedentlich den Harz durchwandert. Ihr Alter und ihren Geburtsort weiß sie nicht anzugeben. Ihr Vater Hans Ißleb lebt noch in Großbrüchter. Seit 13 Jahren ist sie mit Jeremias Spiering verheiratet. Die Ehehleute haben 7 Jahre in Großbrüchter gewohnt. Dann sind sie mit 3 Kindern nach Flarchheim in ein "alt bös Häuslein" gezogen. Das war so baufällig und bot so wenig Schutz, das eine Nachbarin, Barbara, Hans Bartloffs Eheweib, die armen und frierenden Leute aus Barmherzigkeit 9 Wochen des Winters in ihr nahmen. Nach 3 ½ Jahren zog die Familie von Flarchheim nach Zimmern. Eine einwandfreie Person ist die Christine Spiering nicht. Sie ist nicht ehrlich. Sie will die Barbara Barthelmann in Flarcheim verführen, ihrer Herrin, der Frau Anna Elisabeth Nasin geb. Heiling, Brot zu stehlen. Sie steht auch in sittlicher Beziehung nicht in gutem Rufe. Denn sie hat eingestandener maßen die Barbara Wenzel in Grumbach, ein 14 jähriges Mädchen verkuppelt und scheint sich selbst nicht tadelfrei gehalten zu haben. Am 26. Juli und 4 August hat die Verhaftete hier in Mülverstedt ihre ersten Verhöre zu bestehen. Von den 21 Fragen die ihr vorgelegt wurden, interessieren die Zwei, ob sie selbst Zauberei getrieben und die Barbara Wenzel in Mäusemachen unterrichtet habe. Natürlich muss sie die Dinge leugnen, die in keines Menschen Macht liegen. Da beschließt man die Angeklagte und die Belastungszeugin einander gegenüberzustellen. Man verabredet für den 10. August 1658 ein Verhör in Schönstedt. Dort kamen der fürstlich sächsische Amtsschreiber Henrici Guisy wie auch der Amtslandrichter Bratengeier mit dem Hopffgartischen Richter Johann Fischer zusammen. Jene führten, die in Langensalza in Haft befindliche Barbara Wenzel, die anderen, die Christine Spierling mit sich. Beide werden sich gegenüber gestellt. Barbara Wenzel bleibt bei ihrer belastenden Aussage. Christine Spierling bei Ihrer Leugnung. Die kurfürstlich sächsischen Schöppen zu Leipzig , die in jedem Kriminalfalle um ihr Urteil gefragt werden mussten, damit nicht urkundige Schöppen voreilige verkehrte Urteile fällen, ordnen eine nochmalige genaue Untersuchung an. Sie geben den Auftrag , besonders nach Gegenständen der Zauberei im Hause Spiering in Zimmern zu forschen und regten die Frage an, ob die Belastungszeugin mit der Angeklagten vielleicht in Haß und Feindschaft lebt. Auch diese neue Untersuchung liefert kein anderes Ergebnis. Da verfügt der Leipziger Schöppenstuhl: " Da die Angeklagte offenbar nicht unschuldig sei, so sollte man sie, wenn sie in Güte ihr Bekenntnis nicht tun wolle, mit der Schärfe ziemlicher Weise angreifen und befragen" . Dies geschah am 29 Oktober 1658.
Nachdem die Angeklagte wieder die bekannten Fragen verneinte, beginnt für des Weib die Tortur. Der Scharfrichter sucht sie, durch die Folter zum Geständnis zu bewegen. "Weil man die Inquisittin", so berichten die Akten, "alles was ihr in Güte vorgehalten worden, verleugnet, und ungeachtet fleißiger Verwarnungen dabei verharret, als sie dem Scharfrichter Hans Nicol Messingen das Urteil gleichfalls vorgelesen und demselben gemäß mit der Inquistion zu verfahren aufgetragen worden. Nachdem sie nun angegriffen und ihr die Instrumente (Marterwerkzeuge) vorgelegt , auch wie er mit ihr verfahren müsse, umständlich zu Gemüte führet, hat sie zwar anfänglich bei vorheriger Leugnung verharret, Nachdem ihr aber erstlich das Haar abgeschitten, hernach an die Leiter geführet und die Hände geschnüret, hat sie gesagt, er solle inne halten, sie wolle alles bekennen."
Christine Spiering bekennt sich zu allem was man von ihr fordert. Sie bekennt sich zur Zauberei, dass sie Mäuse gemacht, dass sie Barbara Wenzel das Mäusemachen unterrichtet, dass sie zweimal in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberge (Brocken/Harz) an Tanz und Gelage teilgenommen habe. Sie fürchte den Tod selbst nicht so als die furchtbare Folter durch Daumenschrauben, spanischen Stiefel, pommersche Mützen und den gespickten Hasen. Auf das Bekenntnis der Christie Spiering gibt der Leipziger Schöppenstuhl das Gutachten: "Sie möchte wegen solcher Misshandlung mit dem Feuer vom Leben zum Tode gestraft werden." Es folgt nun am 17. Dezember 1658 das hochnotpeinliche Halsgericht als der letzte feuerliche Akt des Trauerspiels. Es geschah im Namen der Herren von Hopffgarten nämlich:
Dietrich von Hopffgarten
Ernst Friedrich von Hopffgarten
Ernst Friedrich von Hopffgarten jun.
Melchior von Hopffgarten
Das Gericht fand unter freiem Himmel statt. Dort wo die alte, von Flarchheim oberhalb Mülverstedt nach Weberstedt gehende Heerstraße das Mülverstedter Gewende schnitt, war in alter Zeit die Stätte des Hochgerichtes, wie sich in der Erinnerung der alten Leute erhalten hat. Dort stand einst der Galgen, an ihm die Leiter, die der zu Henkende hinauf steigen musste. Dort war auch das Rad aufgestellt. Bis 1780 sind die Wahrzeichen einer grausamen Rechtspflege vorhanden gewesen. Am 17. Dezember 1658 ist die Stätte des Halsgerichtes mit Schranken umzogen, um das zahllose Volk , das sich aus der Nähe und Ferne zu dem Schreckenschauspiel eingefunden hat, zurückzuhalten. In der Mitte ist eine schwarzbezogenen Tafel eingerichtet, an der schwarzbezogene Stühle stehen. Im feierlichen Zuge ziehen sie hinaus aus den Schlosse nach dem Richtplatz. An der Spitze der Richter Johann Fischer, nach ihm die Schöppen, die das Urteil zu finden haben. Darauf führt der Gerichtsknecht Andreas Spieß die Christine Spiering, welche in Ketten gefesselt ist. Es schließt sich im scharlachroten Kleid der Scharfrichter Johann Nikolaus Messing, dem zum großen Verdrusse des Langensalzaer Richters Georg Kudermann die Exekution übertragen wird. Richter und Schöppen schwarz gekleidet, nehmen an der Tafel Platz. Die Schöppenbank wird von vier Männern gebildet. Die Namen von dreien sind erhalten. Es sind Einwohner von Mülverstedt, jedenfalls die zuverlässigsten, verständlichsten Männer der Gemeinde:
1. Michael Stetefeld, gest. am 10.08.1675, 71 Jahre alt
2. Martin Wendehut, Schneider, 1640 Pächter der Schenke, gest. 02.05.1663
3. Hans Fuckel aus dem jetzigen Weidenbachschen Hause gest. 19.10.1684, 80 Jahre alt
Außerdem ist zugegen Leonard Schröter, Notarius Publicus (Gerichts- oder Stadtschreiber)aus Langensalza.
Das Gericht wird vorschriftsmäßig gehegt, wie folgt. Der Richter fragt den ersten Schöppen Michael Stetefeld: "Ob es an der Zeit sei, das er im Namen der wohledlen, gestrengen und festen Junkern von Hopffgarten das hochnotpeinliche Halsgericht einem in jedem zu seinem Rechte hegen möge." Darauf antwortete der Schöppe: "Ja, es ist an der Zeit." Hierauf der Richter: " So hege ich im Namen der Junker von Hopffgarten, das hochnotpeinliche Halsgericht von Gotteswegen und in Gegenwart der mir zugeordneten Schöppen. Ich gebiete in diesem hochnotpeinlichem Halsgericht Frieden und dann meiner Schöppen Frieden und verbiete Unfriede, erstlich gebiete ich Gottesfrieden. Wer diesen Frieden bricht, dem gehe es an sein Halsgericht. Ich bedinge mir auch an diesem hochnotpeinlichen Halsgericht alle bedenklichen Dinge, ich benenne sie oder ich benenne sie nicht mit zwei und eins, mit Urteil und Recht."
Nachdem fragt der Richter den anderen Schöppen Martin Wendehut: " Martin Wendehut ich frage euch, ob es das hochnotpeinliche Halsgericht, einem jedem zu seinem Rechte gehegt habe?" Darauf die Antwort: "Ja es ist geschehen."
Es wird er Angeklagten das Gutachten des Leipziger Schöppenstuhls verlesen. Die Spiering wird noch einmal umständlich über die Punkte vernommen, die man ihr zu Last legt. Da sie ihr Schuldbekenntnis erneuert, so treten die Schöppen zusammen um das Urteil zu finden. Der Richter verkündet das Urteil. Es lautet auf den Tod durch Feuer. Das Gericht wird aufgehoben, die Stühle werden umgeworfen, der Stab wird gebrochen und die Verurteilte dem Scharfrichter übergeben zur sofortigen Vollstreckung des Rechtsspruches. Vorher tritt jedoch die Kirche in ihr Recht. Magister Georg Wekmann, der erst vor ein paar Wochen von Kammerforst hierher versetzt ist, nimmt der Delinquentin die Beichte ab. Vor der Beichte, so berichtete Magister Wekmann: "Sagte sie dem Teufel ab, bekannte dem apostolischen Glauben, betete andächtig, erklärte den Tod geduldig zu erleiden, bat dass ihre Kinder zur Schule gehalten und in der Gottesfurcht erzogen werden." Darauf legte der Scharfrichter Hand an sie. Der Scheiterhaufen ist wohl schon errichtet. Das Opfer wird auf den Scheiterhaufen geworfen und festgebunden auf dem tischartigen Stein. Nach wenigen Minuten lodern die Flammen um das arme Weib. Bleich vor Schrecken stehen die Tausenden ringsum und sehen dem schrecklichen Schauspiel zu
(entnommen aus den Blättern " Aus dem Unstruttale" Nr. 37, Jahr 1911 und Mülverstedter Chronik)
Hexenstein am Mülverstedter Anger im Pavillion
Im Zusammenhang mit der Hinrichtung der Christine Spiering aus Zimmern ist noch folgender Bericht erwähnenswert. Barbara Wenzel, die im Prozess Hauptzeugin war, wurde 4 Tage später ebenfalls zum Tode verurteilt.
In der Chronik der Stadt Langensalza von Carl Friedrich Göschel und Christian Friedrich Hentschel aus dem Jahr 1848 finden wir nachfolgenden Text:
So ward im Jahre 1658 am 21. December vor dem Mühlhauser Thore auf dem Platze, wo jetzt das Schützenhaus steht, ein Mägdlein von 16 bis 17, nach andern von 14 Jahren, enthauptet, und der Körper verbrannt. Das unglückliche Mädchen war Barbara Wenzelin geheißen, die Tochter Hans Wenzels von Grumbach. Ihr Verbrechen bestand in Zauberei, und durch Hülfe der Tortur hatte sie wirklich eingestanden, daß sie von einer Frau aus Zimmern, welche deshalb bereits ebenfalls hingerichtet worden war, mittelst eines schwarzen Pulvers und vieler teufelischer Künste das Müusemachen gelernt habe, daß sie Christum feierlich verschworen habe, daß ihr die Frau aus Zimmern in der Gestalt eines Knechtes, den sie mit Namen nannte, einen Buhlen mit einem Pferdefuße zugeführt habe. Der Richter dieses armen verführten Mädchens, welches das Opfer ihrer Zeit wurde, war Martin Germann, ein hiesiger Amtmann, welcher durch seinen finstern Eifer, mit dem er vermeintliche Hexen und Zauberer verfolgte, durch eine Menge von Herenprozessen, welche er führte, und durch eine zahlreiche Reihe von Opfern, die unter dem Schwerte des Nachlichters und auf den Holzstößen seiner Justiz unterlagen, in jener Zeit einen großen Ruf sich erworben hat, um den ihn Niemand beneiden wird.
Anmerkung: Das Geständnis der Barbara Wenzel kam erst durch Anwendung der Tortur am zweiten Tag zustande. Nach den Ausführungen, war die Wenzel ein geistig schwaches Mädchen, die durch die Folter bis zur Bewustlosigkeit nach Ihrer Mutter schrie. Es sei nur soviel erwähnt, dass Verhöre dieser Art in drei Stufen verliefen, bei denen der Ausführende bei jeder Stufe perfider und brutaler wurde. Im Spiel waren der Schwippgalgen (Streckbank), Daumen- und Beinschrauben, Schraubstöcke und angespitzte Holzsplitter.Die Enthauptung der Barbara Wenzel vor der eigentlichen Verbrennung waren Zugeständnisse an ihr jugendliches Alter und wahrscheinlich auch, weil durch ihre Zeugenaussage Christine Spiering der Hexerei "überführt" werden konnte.